Martina Hefters Roman “Hey guten Morgen, wie geht es dir?” beginnt mit einer faszinierenden Prämisse: Juno, eine Künstlerin und Pflegerin für ihren schwerkranken Ehemann Jupiter, chattet nachts mit Internet-Betrügern und lotet dabei die Grenzen ihrer Freiheit und Sehnsüchte aus. Die Geschichte zieht Leser schnell in ihre Welt, vor allem durch die dichte, alltagsnahe Darstellung von Junos Konflikten und ihrer Suche nach einem Ausbruch aus dem durchgeplanten und aufopferungsvollen Alltag.
Hefter gelingt es, Juno als tiefsinnige, facettenreiche Protagonistin darzustellen. Ihr Gedankenspiel mit den „Love-Scammern“ ist dabei sowohl faszinierend als auch beunruhigend. Durch ihre nächtlichen Dialoge gewinnt Juno ein Stück Freiheit, sie kann sich darin neu erfinden und ungezwungen spielen – ein Kontrast zu ihrer Rolle als Ehefrau und Betreuerin, in der sie immerzu stark und fürsorglich sein muss. Die Idee, diese Form des Dialogs mit Betrügern als kathartisches Element einzubauen, ist packend und innovativ.
Allerdings verliert die Erzählung im Mittelteil an Spannung, was ich als „Durststrecke“ beschreiben würde. Hier hätte es der Handlung nicht gefehlt, etwas dichter gehalten zu werden. Zudem bleiben einige thematische Stränge bis zum Ende des Romans lose, was ein gewisses Gefühl der Unvollständigkeit hinterlässt. Kurzum angesprochene schwere Themen bleiben einfach in der Luft. Wie eine Nagel, die man an einen Luftballon setzt und dann nicht durchdrückt.
Einerseits bleibt dadurch Raum für Interpretationen, andererseits fehlt am Ende eine klare Auflösung, was Leser, die ein abgerundetes Ende suchen (so wie mich), möglicherweise unbefriedigt lässt.
Hefters Stil ist klar und prägnant, ihre Sprache angenehm und bildhaft. Dennoch bleibt der Roman trotz seiner emotionalen Tiefe und des ansprechenden Themas relativ leichtfüßig, was ihn auch ohne tiefgründige philosophische Fragen gut lesbar macht. Ein „großer Knall“ fehlt mir bei der Handlung, wodurch der Roman nach dem Lesen weniger nachhallt, als es der Anfang vielleicht verspricht. “Hey guten Morgen, wie geht es dir?” ist letztlich ein lesenswerter Roman, der Fragen nach Freiheit und Identität aufwirft und zum Nachdenken anregt, ohne dabei übermäßig in die Tiefe zu gehen.